Seetonne
Koloss in Ketten
Seetonnen aus Holz markierten ab dem 15.
Jahrhundert das Fahrwasser der Elbe. Das einzige vollständig
erhaltene Exemplar ist seit Anfang dieses Jahres im Effektensaal der
Handelskammer ausgestellt.
Die Seetonne gelangte bei Baggerarbeiten im Flussbett der Elbe bei
Tinsdahl im November 1999 ans Tageslicht. Die Arbeiter, die sie aus
rund 15 Meter Tiefe bargen, erkannten sofort, dass sie auf einen
besonderen Schatz gestoßen waren, und meldeten ihren Fund
pflichtgemäß dem Bodendenkmalamt. Um eine Austrocknung des
Holzes zu vermeiden, versenkten Archäologen die vollständig
erhaltene und mit Eisenkette und Ankerstein versehene Tonne
zunächst wieder in der Elbe. Schließlich gaben sie das
Fundstück in die Obhut des Altonaer Museums, das es in den
Werkstätten des Landesmuseums Schloss Gottorf konservieren
ließ. Die Arbeiten dauerten rund acht Jahre. Der hölzerne
Tonnenkörper wurde zunächst in einzelne Fassdauben zerlegt,
entsalzt, schockgefroren und mit Polyethylenglykol getränkt. Der
Erhalt der Seetonne ist damit langfristig gesichert.
In der Zwischenzeit bekundeten verschiedene Institutionen ihr Interesse
an der hamburgischen Seetonne. Weltweit existiert kein zweites so gut
erhaltenes Exemplar, das Fundstück war allein aus diesem Grund
sehr begehrt. Auch die Handelskammer nahm Kontakt zum Altonaer Museum
auf und verhandelte erfolgreich: Als Leihgabe ist die hamburgische
Seetonne seit Februar im Effektensaal ausgestellt. Boye
Meyer-Friese, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Altonaer Museums
für den Bereich Schifffahrt und Fischerei, kann sich keinen
besseren Ort für die Präsentation vorstellen. „Die
Commerzdeputation, die Vorläuferorganisation der Handelskammer,
hat sich sehr für die navigatorische Sicherheit auf der Elbe
eingesetzt und den Senat regelmäßig und erfolgreich gemahnt,
entsprechende Maßnahmen zu ergreifen“, sagt er. „Dazu
gehörte auch der Einsatz von Seetonnen. Die Handelskammer
kann man also als die ‚geistige Mentorin’ der hamburgischen
Seetonne bezeichnen.“
Deutlich wird der Bezug von Seetonne und Handelskammer auch aufgrund
der Ergebnisse der dendrochronologischen Untersuchung: Experten der
Universität Hamburg haben nachgewiesen, dass die Eichen, deren
Holz für den Bau der Tonne verwendet wurde, im Jahr 1667
gefällt wurden – zwei Jahre nach Gründung der
Commerzdeputation. Damit ist die hamburgische Seetonne nicht nur die
einzige vollständig erhaltene Seetonne, sondern zugleich auch die
älteste, die je gefunden wurde.
Für den Bau wurden damals nur hochwertigste Materialien verwendet.
Ausgesuchte Eichenhölzer und das für seine
Widerstandsfähigkeit bekannte Schwedeneisen waren vorgeschrieben,
sowohl die Dichtigkeit der Tonnenkörper als auch die
Bruchfestigkeit der Ketten wurden überprüft. Die Materialien
waren so gut, dass sie weiterverwendet wurden, sobald eine Tonne
außer Dienst gestellt wurde – der Hamburger Fund hat also
Seltenheitswert.
Die hamburgische Seetonne verdankt ihren Erhalt wahrscheinlich einer
Reihe von Zufällen. So muss der Winter im Jahr ihres Untergangs
relativ plötzlich gekommen sein – zu plötzlich, um die
Tonnen rechtzeitig vor der Bildung von Eisschollen aus dem Fluss zu
ziehen und durch kleinere Drift-Baken zu ersetzen, wie es seinerzeit
üblich war. „Vermutlich hat überraschend einsetzender
Eisgang die Seetonne beschädigt, sie wurde mitgerissen und
sank“, so Boye Meyer-Friese. „Unter Wasser muss sie dann
schnell vollständig in Sand eingebettet worden sein, sodass Eisen
und Holz nicht angegriffen, sondern konserviert wurden.“ Es
grenzt an ein Wunder, dass die Tonne über 300 Jahre lang
unbeschadet im Elbsand liegen blieb und auch bei den Baggerarbeiten,
die zu ihrer Bergung führten, nicht beschädigt wurde.
Seetonnen wurden auf der Elbe zwischen 1440 und 1450 erstmals
eingesetzt. Der Hamburger Senat, der für die Schiffbarkeit der
Elbe die Verantwortung trug, erhob zu diesem Zweck von den Schiffern
ein sogenanntes „Tonnengeld“. Die zwölf Meter lange
Elbkarte von Melchior Lorichs, die 1568 als Beweismittel in einem
Rechtsstreit mit Harburg diente, verzeichnet insgesamt 18 Seetonnen
zwischen Hamburg und der Elbmündung. 1767 sind bereits 100 Tonnen
belegt.
Seetonnen dienten einerseits der navigatorischen Sicherheit, indem sie
das Fahrwasser bezeichneten, andererseits schützten sie die
Schiffer und ihre Ladung aber auch vor Überfällen. Denn
Schiffe, die an den tückischen Sänden im
Mündungstrichter oder in Untiefen festkamen, fielen oft
Strandräubern zum Opfer. Die Commerzdeputation richtete ihr
Augenmerk deshalb auch auf die Bekämpfung der Piraterie und die
rechtlichen Verhältnisse im Falle einer Strandung. So gab sie bei
Jacob Schuback, dem damaligen Syndikus der Stadt Hamburg, eine
Zusammenstellung internationaler Strandrechtsfälle in Auftrag, die
dieser 1751 erstmals veröffentlichte. Schuback verwies
nachdrücklich auf die Wichtigkeit des Einsatzes von Tonnen, Baken,
Feuerblüsen und Lotsen, um die Sicherheit auf der Elbe zu
garantieren. Der Senat ließ sich das einiges kosten:
Kämmereiunterlagen ist zu entnehmen, dass man damals für den
Preis von sechs Seetonnen ein 15 Meter langes Frachtschiff bauen lassen
konnte.
hamburger wirtschaft, Ausgabe Juli
2010