Energieversorgung
Gewonnene Zeit
Die Bundesregierung hat ihr Energiekonzept
vorgelegt und Norddeutschland geholfen. Der ab 2020 drohende
Versorgungsengpass wäre damit abgewendet.
Die Zukunft in der Energieerzeugung gehört den regenerativen
Energien – das ist klar. Doch bis dahin ist es noch ein weiter
Weg. Das zeigt zum Beispiel die für Norddeutschland besonders
wichtige Erzeugung von Windenergie vor der Küste im Meer –
also „offshore“. Denn bislang bleibt der erhoffte Boom aus:
Zwar sind in Nord- und Ostsee insgesamt 70 Windparks mit mehr als 5200
Anlagen geplant. Genehmigt sind davon allerdings erst 28 – und
bei nur zehn Vorhaben auch der Netzanschluss, der ebenso wichtig ist,
damit die erzeugte Energie auch von den Verbrauchern genutzt werden
kann. Erst wenn beide Genehmigungen vorliegen, können Bau und
Kabelverlegung beginnen. Die einzige Anlage in Betrieb ist bislang
„Alpha Ventus“ – von Bundesumweltminister Norbert
Röttgen im April publikumswirksam eröffnet.
Das ist eines der Ergebnisse, zu denen die IHK Nord – der
Zusammenschluss von 13 norddeutschen Industrie- und Handelskammern
– bei der Aktualisierung ihrer „Kraftwerkslandkarte“
aus dem Jahr 2008 kommt. Das zweite: In den fünf norddeutschen
Bundesländern gibt es zurzeit 38 Kraftwerke mit mehr als 100
Megawatt (MW) Leistung – genauso viele wie vor zwei Jahren. Sie
erzeugen ausreichend Energie, um den Bedarf von Bürgern und
Unternehmen zu decken. Bliebe es allerdings bei den bislang gesetzlich
festgelegten Laufzeiten für Kernkraftwerke und der
durchschnittlichen Lebensdauer eines konventionellen Kraftwerkes von
rund 40 Jahren, würden bis 2030 über 90 Prozent in den
„Ruhestand“ gehen. Da neue Kraftwerksprojekte zurzeit
„schlechte Karten“ haben, so das dritte Ergebnis, wäre
unweigerlich eine Versorgungslücke entstanden. Als Beleg: In den
vergangenen zwei Jahren ist nur das Kraftwerk in Lingen (Emsland) in
Betrieb genommen worden. Im gleichen Zeitraum wurden aber fünf
Projekte gestoppt. Gute Aussichten auf Realisierung haben nur drei von
derzeit über 20 Vorhaben. Mit ihrer Analyse bestätigt die IHK
Nord vorliegende Studien, zum Beispiel die der Deutschen Energieagentur
(Dena). „Wie in Norddeutschland sieht es bundesweit aus“,
kommentiert Dena-Geschäftsführer Stephan Kohler. „Die
derzeit gesicherten Kraftwerksplanungen reichen nicht, um in Zukunft
die Stromnachfrage zu Höchstlastzeiten preiswert, sicher und
klimaschonend zu decken.“ Doch wer Klimaschutz und Erneuerbare
Energien wolle, müsse auch über die Erneuerung des
bestehenden Kraftwerksparks sprechen. Denn Versorgungssicherheit sei
für ein Industrieland wie Deutschland auch dann erforderlich, wenn
die Sonne nicht scheint und Windstille herrscht. „Die
Herausforderung liegt darin, das Gesamtsystem zu optimieren. Dazu
zählen insbesondere ein quantitativer und qualitativer Ausbau der
Netze sowie die Weiterentwicklung von Speichertechniken.“
Das sieht auch die IHK Nord so und begrüßt daher die
Vorhaben der Bundesregierung. Vor allem die Verlängerung der
Laufzeit von Kernkraftwerken um acht bis 14 Jahre gäbe Planungs-
und Versorgungssicherheit und erleichterte damit den Ausbau
Erneuerbarer Energien. Jetzt kommt es darauf an, diese
Übergangszeit auch zu nutzen und dabei nicht auf
Möglichkeiten zur konventionellen Energieerzeugung zu verzichten.
Denn durch moderne neue Kraftwerke – wie zum Beispiel in
Hamburg-Moorburg – können alte Anlagen ersetzt und damit
Kohlendioxid-Emissionen eingespart werden.
hamburger wirtschaft, Ausgabe
Oktober
2010